Veranstaltung: | Jahreshauptversammlung KV Bielefeld 2024 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 8. Anträge |
Antragsteller*in: | Peter Pütz (KV Bielefeld) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.03.2024, 20:16 |
A1: Wachstumsunabhängigkeit statt Wachstumszwang
Antragstext
Die Grünen Bielefeld bekennen sich dazu, dass ein weiteres Wirtschaftswachstum
für Deutschland kein erstrebenswertes Ziel für sich ist, sondern wir auf ein
gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen hinwirken. Dafür stellen wir Grünen
dieses Ziel in unserer Außenkommunikation in den Vordergrund und wirken darauf
hin, dass soziale Sicherheit und gesellschaftliche Stabilität unabhängig vom
Wirtschaftswachstum gestaltet werden. Wir fordern die Parteispitze und Grüne in
Regierungsverantwortung dazu auf, diesem Beschluss und ähnlich gelagerten
Beschlüssen aus der Vergangenheit zu folgen.
Begründung
„Die Rahmenbedingungen könnten herausfordernder kaum sein. Die Wachstumszahlen der deutschen Wirtschaft sehen nicht so aus, wie wir uns das wünschen. Das Wachstum sollte aus unserer Sicht höher sein“ schreibt die Grüne Bundestagsfraktion in ihrer Mitteilung zum Jahreswirtschaftsbericht, deshalb werde sie „Wachstumsimpulse mit gezielter Angebotspolitik schaffen“ (https://www.gruene-bundestag.de/themen/wirtschaft/wirtschaft-auf-erholungskurs). Unser Wirtschaftsminister bezeichnet das Wirtschaftswachstum und die Lage als „dramatisch schlecht“ (https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/wirtschaftswachstum-warnung-habeck-konjunktur-prognose-100.html).
Gleichzeitig ist es sehr unwahrscheinlich, dass Wirtschaftswachstum – falls überhaupt – ausreichend schnell von ökologischen Schäden abzukoppeln ist, da jede wirtschaftliche Aktivität mit Ressourcenverbrauch einhergeht (https://eeb.org/library/decoupling-debunked/https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/nachhalti-gkeit/nachhaltigkeit_gruenes_wachstum_entkopplung_studie.pdf?trk=public_post_com-ment-text, https://www.spektrum.de/news/gruenes-wachstum-passen-wirtschaftswachstum-und-umweltschutz-zusammen/2043169). Ein „weiter-so“ ist deshalb keine Lösung, weshalb auch wir Grüne uns im Grundsatzprogramm darauf verständigt haben, dass wir unabhängig vom Wirtschaftswachstum werden müssen: „Aus Vorsorge sind unsere Systeme deshalb auf wissenschaftlicher Basis darauf auszurichten, auch beim Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen stabil zu bleiben – gerade im Hinblick auf wiederkehrende Wirtschafts- und Finanzkrisen.“ Auch in unserem letzten Bundestagswahlprogramm haben wir den einfach verständlichen und sehr logischen Satz „ Entsprechend verändern wir die Wirtschaftsweise, denn auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben.“ niedergeschrieben.
Uns Grünen ist eigentlich bekannt, dass sich Wohlstand und wirtschaftlicher Erfolg nicht allein anhand des (Wachstums) des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bemessen lässt, auch das ist beispielsweise im letzten Bundestagsprogramm formuliert: „Wohlstand definiert sich nicht allein durch Wachstum des BIP, sondern lässt sich viel breiter als Lebensqualität verstehen. Wir wollen den Erfolg Deutschlands und der Unternehmen neben ökonomischen auch anhand inklusiver, sozialer, ökologischer und gesellschaftlicher Kriterien messen und die politischen Leitplanken wie Anreize und Wirtschaftsförderung entsprechend neu ausrichten.“ Deshalb sind seit grüner Regierungsbeteiligung im Bund auch weitere Indikatoren für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg in den Jahreswirtschaftsbericht aufgenommen worden (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/jahreswirtschaftsb-ericht-2024-2261396). Dabei sind durchaus Erfolge zu benennen, sei es die hohe Beschäftigungsquote oder der sinkende Anteil an Menschen, die vor dem 70 Geburtstag sterben. Umso befremdlicher ist, dass in der öffentlichen Kommunikation führende Grüne Politiker:innen hauptsächlich das (Null-)Wachstum beschreiben und bedauern. So lässt sich kein dringend notwendiger Wandel zu einer nachhaltigen, wachstumsunabhängigen Wirtschaftsweise schaffen. Im Gegenteil, ein Beibehalten der Wachstumsideologie wird unsere Lebensgrundlagen weiter zerstören. Übrigens: Ein Rückgang der energieintensiven Produktion war im vergangenen Jahr wohl mitentscheidend dafür, dass Deutschland ausnahmsweise einmal seine Klimaziele erfüllt hat (https://www.agora-energiewende.de/aktuelles/deutschlands-co2-ausstoss-sinkt-auf-rekordtief-und-legt-zugleich-luecken-in-der-klimapolitik-offen).
Es ist nicht so, dass wir es begrüßen, wenn die Produktion ungesteuert einbricht bzw. das BIP zurückgeht. BIP-Wachstum führt zu höheren Steuereinnahmen und erlaubt es, Sozialleistungen zu erhöhen. Aber aufgrund der gravierenden ökologischen Folgen (die auch wieder wirtschaftliche Kosten mit sich tragen) ist es notwendig, Sozialsysteme und gesellschaftliche Stabilität unabhängig vom Wirtschaftswachstum zu gestalten. Das Umweltbundesamt hat dies bereits 2018 sehr umfassend beschrieben: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/vorsorgeorientierte-postwachstumsposition.
Es gibt noch kein all umfassendes theoretisches und praktisch geprüftes Konzept für Wachstumsunabhängigkeit, aber noch weniger gibt es ein realistisches Konzept dafür, wie weiteres Wirtschaftswachstum in Industrienationen wie Deutschland mit den planetaren Grenzen in Einklang zu bringen wäre. Ein wichtiger Schritt ist deshalb eine ehrliche Kommunikation, die nicht den Traum von ewigem Wirtschaftswachstum im Einklang mit den planetaren Grenzen für realistisch und erstrebenswert erklärt, sondern das Erfüllen menschlicher Bedürfnisse in den Vordergrund rückt. Wir brauchen dringend eine Diskursverschiebung und sind wohl die einzige größere Partei, die das leisten kann und muss.
Anmerkung: Dieser Antrag wurde im Rahmen des Postwachstums-Lesekreises, der im Frühjahr 2023 hier im KV Bielefeld gestartet wurde, erarbeitet.